"Bosheit und Härte des Herzens sind die natürlichen Folgen allen Stolzes" hat Johann Heinrich Pestalozzi gesagt.
Zwar wird der menschliche Stolz oftmals als etwas Tugendhaftes beschrieben; ich finde aber er hat ein sehr negatives Potenzial.
Wer Stolz hat, möchte sich oft beweisen, sich verteidigen.
Wer dagegen eine selbstbewusste Gelassenheit hat, der wird kaum das Bedürfnis haben, sich zu beweisen oder sich zu verteidigen.
Manchmal mag Stolz angebracht sein. Kein Mensch sollte alles mit sich machen lassen.
Aber ein Mensch mit zu viel Stolz verliert sich nach und nach dauerhaft in einer gereizten Hab-Acht-Pose. Und wittert Angriffe, die vielleicht nur Einbildung sind.
"Wo Demut ist, da ist steter Friede; wo aber der Stolz herrscht, da
ist Eifersucht; da ist Zorn und eine ganze Hölle voll Unruhe." (Thomas von Kempen)
Vielleicht braucht es Jahrzehnte, um so richtig herauszufinden, wann Stolz angebracht ist, wann nicht ...
Nichts ist so umstritten wie das (Un)Glück des Alleinseins.
Was für den Künstler, Philosophen, Sinnsucher die Muße fördert, ja das Voranschreiten seiner Kunst regelrecht zu bestimmen scheint, ist für den Rest der modernen, westlichen Gesellschaft eher eine verpönte, bemitleidenswerte Angelegenheit. Alleinsein wird bewundert, verachtet, ausgelacht, bemitleidet, ignoriert, ausgegrenzt, herbeigesehnt... hab ich was vergessen? Verbringt ein Mann seine Zeit alleine, so umgibt ihn die Aura des romantischen, einsamen Eremiten. Zu beobachten bei Radfahrern, Rennradfahrern, Wanderern, Philosophen, Zeitunglesern in Cafés, usw. Verbringt eine Frau dagegen ihre Zeit allein, ist sie, womöglich ohne es zu wollen, von eine Aura umgeben à la Wechseljahre, Midlife-Crisis, Sinnsuche, armes Wesen, sture Person, hat keinen abbekommen, allein gelassen. Frau geht allein wandern und bekommt von einer anderen Frau, die ihren Ehemann dabei hat, zu hören: "An Ihrer Stelle wäre ich traurig. Ich verstehe nicht, wie Sie das aushalten. Suchen Sie sich doch einen Verein!" Die Wurzeln des Ganzen liegen mit Sicherheit einige Jahrhunderte in der Geschichte zurück und hängen mit so üblichen Dichotomien zusammen, wie Frau=quatschen, Unterhaltung, Austausch; Mann=Denker, Politiker, Eigenbrödler, Selbstbestimmung.
Aber mal abgesehen von Gender & co. ...wie gehen (Online-)Magazine mit dem Thema um? Manche betonen, Alleinsein mache krank. Unsozial. Schlecht für den Blutdruck. Man verlernt das Miteinander. Den ganzen Tag zu Hause sein und lesen, wie kann man nur. Andere Artikel wiederum, und das sind dann jede, die sich mehr auf einer spirituellen Ebene bewegen, argumentieren immer wieder mit dem 'Zu sich selbst finden'. 'Wie soll ich ohne Abstand zur Gesellschaft wissen, wer ich wirklich bin?' etc. Das führt zu der Grundsatzfrage: Worüber definiert sich der Mensch eigentlich? Wäre ich nichts, wenn mir niemand etwas zurückgäbe? Lege ich automatisch ein asoziales Verhalten an den Tag, nachdem ich 3 Wochen lang allein durch den Regenwald gewandert bin? Ok, so schnell geht es sicher nicht. Trotzdem frage ich mich: In welcher Intensität braucht ein Mensch seine Mitmenschen zur Entwicklung seiner Persönlichkeit?
Manche Menschen wollen das meiste mit sich selbst ausmachen. Der eigene Standpunkt, der eigene innere Dialog genügt. Die Grundsätze sind fest. Andere Menschen wiederum wollen vieles besprechen, Reflektion erfahren, sehen was zurückkommt, Meinungen einholen. Prüfende Betrachtung. Es ist wahrscheinlich anmaßend, zu behaupten, die einen wären besser als die anderen. Gesund ist wahrscheinlich ein gewisses Mittelmaß. Gesellschaft, Meinungen einholen. Alleinsein, reflektieren. Es muss beides geben. Was bei der ganzen Auseinandersetzung bzw. Verpöntheit, Gefahr für die Gesundheit etc. allerdings vergessen wird: Schon mal versucht, mit jemandem zusammen ein Buch zu lesen? (Bücher lesen ist bezeichnenderweise out...)
Abgesehen davon gibt es empfindlichere und weniger empfindliche Typen: Während der eine Mensch nach einem langen Arbeitstag eher auf -->Zerstreuung<--- setzt, sprich, am liebsten in der Stammkneipe abschaltet; schwört der andere Mensch nach einem langen Tag eher auf ein -->sich sammeln<-- was eigentlich nur allein funktioniert. Oder im Meditationskurs. Abschalten bedeutet nicht für alle Menschen das Gleiche, was die Gefahren des Alleinseins schon ein bisschen relativiert, bzw. vielleicht sogar umkehrt. Mensch A entspannt auf dem Rockkonzert. Mensch B bekäme davon einen noch höheren Blutdruck bzw. Stress und schwört stattdessen auf einen Abend in einer Bar.
Vielleicht tickt das menschliche Hirn, Geist, Seele, Kopf ein bisschen wie die Festplatte eines Computers: Wenn man nicht ab und zu ein bisschen defragmentiert / aufräumt, wird alles langsamer und langsamer, und endet schließlich im Chaos. Allerdings sollte man sich auch nicht all zu sehr mit dem Aufräumen beschäftigen. Ein bisschen Leerlauf ist auch manchmal schön. Ein bisschen von allem halt. Ohne den Zwang, ständig dabei sein zu müssen.
Bei Juliette Binoche denkt man doch automatisch an gutes, verlässliches Schauspiel, eher geerdete Romantik, und an ihre herrliche weibliche Aura, die immer ein bisschen die einer Genusssüchtigen ist, die niemals altert... stets verkörperte sie eine Prise Wahnsinn, ihre Rollen waren oft ein bisschen durchgeknallt. In „Das bessere Leben“ hat man allerdings den Eindruck, ihre Rolle wäre es gern, ist es aber nicht. (Die Szene, in der sie das Hühnchen in Weißweinsoße zubereitet, sich betrinkt und irre anfängt zu lachen, sie lässt das Interview mit der Blonden Revue passieren, etc...) Das stimmt einen traurig, man erlebt ein leichtes Fremdschämen und möchte mit ihr das Glas erheben.
In „Das bessere Leben“ ist in manchen Szenen nicht ganz abzusehen, wer eigentlich wen beneidet.
Während man im Kino sitzt, wird man regelrecht in den Film hinein gezogen, eingelullt von der (eigentlich abartigen) Romantisierung der Pariser Edel-Prostitution, die erotischen Szenen klappen einem die Kinnlade hinunter und man hört Binoche schon sagen: „Ja, ich möchte auch so ein verruchtes Leben führen!“
Lässt man sich den Film jedoch einige Tage auf der Zunge zergehen, stellt man mit Entsetzen fest, dass diese derbe Romantisierung der Prostitution mit dem eigenen Moralgefühl eigentlich gar nicht zu vereinbaren ist. Die blonde Studentin aus Polen säuft Wodka, lacht, schaufelt Pasta in sich hinein, lacht, säuft Wodka, lacht. Die Brünette grinst die ganze Zeit, als würde sie von einer romantischen Liebesbeziehung schwärmen. In der nächsten Szene vergeht sich ein Mann brutal an ihr.
Man weiß nicht ganz was man davon halten soll. Im Nachhinein fragt man sich, wieso niemand geschlagen, über den Tisch gezogen, oder ausgeraubt wurde. Es gab zu wenig Realität in diesem Film. Es war alles viel zu romantisch. Edel. Gut betucht. Französisch. Alle haben nur gelächelt und gelacht. Hihi, so verdiene ich mein Geld, hihi.
Binoche, im Film heißt sie Anne, erweckt am Ende des Film beinah den Eindruck, als würde sie selbst gern mal ‚um die Häuser ziehen‘ und ihrer eigenen Verruchtheit freien Lauf lassen. Ihr Mann hat darauf keine Lust. Am nächsten Morgen ist dann alles so wie vorher. Zu viert sitzt die Familie am Frühstückstisch, „Kann ich mal bitte die Cornflakes...?“ Annes Lächeln wirkt ein wenig eingefroren.
Der Titel des Films ist schon sehr doppelbödig. Eigentlich hat keiner von beiden, weder Anne, noch die Studentinnen, „Das bessere Leben“. Beide Seiten wollen das Leben des jeweils anderen leben. Wenn sie es könnten, was wäre dann? „Das bessere Leben Teil 2“?!